Laudatio zur Eröffnung

…der Ausstellung ‚Nordhessiche Dörfer und Kirchen‘ im Museum der Schwalm

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

was macht ein Hamburger Künstler wie Bernd Hering, der lange in Dänemark, England und Frankreich gelebt hast, in Nordhessen? Er malt – natürlich malt er, weil das sein Weg ist, sich Menschen, Dingen und Landschaften zu nähern.

Aber er assimiliert sich nicht nur malend und zeichnend, sondern er interpretiert auch das, was er sieht, durch seine Form der Darstellung. „Malen heißt vor Augen führen“ – das war einer der Lieblingssätze von Bernd Hering. Und genau das hat er getan: Er hat uns die nordhessischen Dörfer und Kirchen in einer Weise vor Augen geführt, die sie uns in einem neuen Licht erscheinen lassen. Das, was er uns zeigt, sind keine Provinznester, sondern Orte mit einem ganz eigenen Charme, man könnte fast sagen: einer gewissen Anmut und Feinheit. Bernd Hering ist über 20 Jahre lang Gast in Nordhessen gewesen – und diese wunderbaren Zeichnungen, die ab heute hier zu sehen sind, sind das Gastgeschenk, das er uns hinterlassen hat. Dankenswerter Weise liegen diese Zeichnungen aufgrund einer Felsberger Bürgerinitiative nun auch als Postkarten vor – und sie werden zukünftig in diesem Museum hier beheimatet sein.

Lassen Sie mich ein bisschen mehr von Bernd Hering erzählen. Er ist 1924 in Hamburg geboren, sein Vater war Kapitän auf hoher See, seine Mutter eine politisch engagierte und kulturell vielseitig engagierte Persönlichkeit. Seine Begabung wird schon in der Schule entdeckt. Nach dem Abitur studiert er deshalb an der Hamburger Kunsthochschule Malerei und Graphik. Es ist damals gleichzeitig Nachkriegszeit mit allen Lasten und Belastungen, es ist aber auch eine geradezu ungestüme Aufbruchszeit auf der Suche nach neuen Richtungen inmitten einer sich wieder öffnenden internationalen Kunstszene. Die Mitglieder der Gruppe, die da gemeinsam aufbricht, gehen ganz unterschiedliche Wege. Vicco von Bülow – genannt Loriot – wird durch seine Bildergeschichten und Filme berühmt. Horst Janssen wird ein Zeichner von Weltrang. Bernd Hering gilt als Meisterschüler seines Lehrers Willem Grimm. Er entschließt sich aber, Kunsterzieher zu werden, denn er hat inzwischen eine Familie zu ernähren und setzt keinerlei Vertrauen in den Kunstmarkt.

Mit 50 Jahren verlässt er die Schule wieder. Er hat die ganze Zeit sozusagen nebenberuflich gemalt und gezeichnet – nun aber will er die Malerei zu seinem Lebensmittelpunkt machen. Der Aufbau eines Ateliers in Südfrankreich und zahlreiche Studienreisen folgen – bis die Geburt der Enkelin ihn und seine Frau nach Nordhessen zieht. Ruth und Bernd Hering wohnen seit Mitte der 1980er Jahre mit Kindern und Kindeskindern in einem schönen alten Fachwerkhaus in Felsberg – und hier beginnt die künstlerische Annäherung an Nordhessen, von der ich am Anfang gesprochen habe.

In dieser Zeit entstehen nicht nur die Zeichnungen, die hier zu sehen sind, sondern eine Vielzahl großer Bilder aus Acryl, von denen zwei hier ausgestellt sind, welche das Tal zwischen der Heiligenburg und Gensungen als Sommer- und als Winterlandschaft zum Gegenstand haben. Diese Bilder sind menschenleer – ihre Wirkung resultiert aus der „Metaphysik der Oberfläche“, wie einer der Kunstwissen-schaftler, die sich mit dem Werk von Bernd Hering beschäftigt haben, einmal gesagt hat. Er selbst hat seine Bilder gelegentlich als Meditationstafeln bezeichnet – und in der Tat erzeugen diese Darstellungen beim aufmerksamen Betrachter einen sonderbaren Zustand des Versinkens in einer Mischung aus Fühlen, Denken und Kreieren eigener daraus erwachsender Bilder.

Es entsteht eine reiche Vielfalt solcher Gemälde in dieser Zeit, die über die Grenzen Nordhessens hinaus anerkennend zur Kenntnis genommen werden. Der 75. Geburtstag von Bernd Hering wird entsprechend aufwendig mit einer großen Ausstellung in der Neuen Galerie in Kassel zelebriert.

Eine letzte Bemerkung gilt der Bedeutung von Menschen im Werk von Bernd Hering. Seine Bilder sind zwar menschleer, aber sein Gesamtwerk umfasst die Natur nicht nur in Form von Landschaften, sondern auch in der Gestalt und Gestaltung des menschlichen Körpers. Viele seiner Zeichnungen und alle seine Skulpturen haben Darstellungen weiblicher und männlicher Körper zum Gegenstand. Eine kleine Auswahl dieser Plastiken ist hier zu sehen und trägt damit zu einem Einblick in die Vielfalt der Arbeitsweise von Bernd Hering bei, die insgesamt wesentlich breiter angelegt ist, als hier dargestellt werden konnte.

Ich selbst bin überaus froh und dankbar, dass das Museum der Schwalm den nordhessischen Zeichnungen meines Vaters ab heute eine ebenso schöne wie angemessene Beheimatung bietet – und ich hoffe, dass dies dazu beiträgt, das bedeutsame Erbe der in der Schwalm seit Beginn des 19. Jahrhunderts ansässigen Künstler, der Willingshäuser Malerkolonie, über die Gegenwart bis in die Zukunft hineinzutragen.

Ihnen wünsche ich noch einen angenehmen Aufenthalt in diesem ebenso schönen wie geschichtsträchtigen Ambiente und einen interessanten Abend im Museum der Schwalm.

-Sabine Hering-

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