Zur Bedeutung der Landschaftsmalerei heute

Die Landschaft hat als eigenes Sujet erst verhältnismäßig spät in die Kunstgeschichte Einzug gehalten. Spezialisten datieren diesen Zeitpunkt mit der Beschreibung der Besteigung des Mont Ventoux durch Franscesco Petrarcas (1304-1374). Die Natur selber wurde hier – so heißt es – erstmals zum Gegenstand des Interesses, gleichberechtigt neben der Darstellung menschlicher Konflikte.

Zur Zeit der klassischen Malerei, als Akademie und Salon noch die Kunstbetrachtung beherrschten (also eigentlich bis zum Ersten Weltkrieg), gab es strenge Einteilungen in ‚Historienmalerei‘, ‚Portrait‘, ‚Genre‘, ‚Landschaft‘ und ‚Stillleben‘. Landschaft und Stillleben kamen ganz zum Schluss, zumindest aus der Sicht der Historienmaler. Seitdem hat sich die Einstellung etwas geändert. Gustav Courbet (1819-1877) fand, die Landschaft sei das demokratischste aller Motive (was immer er damit gemeint haben mag). Und Georg Baselitz (geb. 1938) sagt, die Landschaft sei das Grundthema der Malerei.

Natürlich besteht eine enge Beziehung zwischen der Landschaftsmalerei und der Naturauffassung der Gesellschaft. Die Art und Weise wie die Natur empfunden wird, schlägt sich in der Malerei nieder. Ob in der Romantik die Natur verklärt und überhöht wird, oder ob im Biedermeier der stille beschauliche Winkel gesucht wird, das zeigt sich deutlich in den Bildern der jeweiligen Epoche. Im Impressionismus malt man eigentlich nicht mehr die Dinge, als vielmehr die Atmosphäre, in die sie eingetaucht sind. Im Expressionismus wird die Naturdarstellung zum Vehikel der Gefühle. Das Auftreten der abstrakten Malerei bedeutet für eine gewisse Zeit den Abschied von der Welt der real sichtbaren Dinge und eine Hinwendung zu den dahinter stehenden geistigen Kräften – z.B. zur Harmonie oder Disharmonie.

Aber was ist das eigentlich: die „Natur“ und was wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln darunter verstanden? Zunächst – so scheint es – ist die Natur das Sinnbild des von selbst Gewachsenen, ohne jeden Eingriff von Seiten der Menschen. Sie ist der Gegensatz zum Artifiziellen, künstlich Hergestellten. Die Ordnung, die in der Natur zu erkennen ist, wird als natürliche Ordnung bezeichnet. Und in dieser Ordnung leben wir als Teil der Natur – wohl wissend, dass wir uns die Natur ‚untertan‘ machen müssen, um zu überleben. Natur ist also gleichzeitig Regelwerk und Gegenstand unserer menschlichen und unmenschlichen Regelungskünste.

Philipp Otto Runge (1777-1810) hat gesagt: „Jede Landschaft ist ein idealistischer Körper für eine bestimmte Art des Geistes.“ Diese Vergeistigung der Landschaft geht über die Darstellung der Atmosphäre hinaus, die diese Landschaft nur umfängt. Sie ist der Versuch, zum Kern der Landschaft, also zur Natur der Dinge vorzudringen. Denn die Landschaft ist ja nur ein Zugang zur Natur. Dabei stellt sich allerdings heraus, dass die Landschaft als ‚das Gesicht der Natur‘ uns in zunehmendem Maße vor Augen führt, dass wir nicht nur in der Natur, sondern von ihr leben. Ein Ende der natürlichen Ressourcen ist abzusehen, Zerstörung und Ausbeutung werden immer deutlicher sichtbar.

Wenn der bildenden Kunst in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Aufgabe zufällt, dann ist es diese, diesen Prozess anschaulich zu machen. Die Rede, „sich ein Bild von etwas zu machen“, kann hier wörtlich genommen werden. Das Wissen über etwas kann nicht nur cognitiv, rational erweitert werden, es muss auch meditativ erfasst werden. Das Landschaftsbild kann dazu dienen, die Sinne, d.h. die Wahrnehmung für alles zu schärfen, was wir als Natur in unserer Umwelt bezeichnen. Die Malerei hilft, die Welt mit anderen Augen zu sehen, als mit den eigenen. Die Landschaft als Motiv hat in dem Maße eine steigende Bedeutung wie die Natur selbst in unser Bewusstsein als Grundlage unserer Existenz an Bedeutung gewinnt.

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Bernd Hering

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